IMAGO

Als IMAGO an jenem Tag im Dezember 2001 entdeckt wurde war Es bereits 289 Jahre alt und hatte bis dahin erstaunlicherweise völlig im Verborgenen gehaust.

Zwar war immer wieder über die Auffindung einzelner rätselhafter Teile berichtet worden, da diese Bruchstücke jedoch räumlich wie zeitlich völlig zusammenhanglos schienen erlaubten sie keine Rückschlüsse auf die wahre, beunruhigende Dimension IMAGOs.

Als IMAGO vor nunmehr 291 Jahren das Licht der Welt erblickte war diese nicht neu natürlich. Weitere 289 Jahre davor hatte der sehr große Piero, Knabe noch, unter klarblau-weiten Himmeln in jenem toskanisch-umbrischen Grenzgebiet bei Borgo San Sepolcro sitzend über die vor ihm liegenden Landschaften geblickt, erste Gedanken fassend zu: Geometrie. Perspektive. Abacus. Oh Madonna del Parto, die Frucht aller Leiber in sich tragend. Den Traum Konstantins träumend. Nacht. Der Auferstehung harrend.

Tag? Kaum.

Später, IMAGO minus 200, Piero schon 20 Jahre tot: Mathis Nithart Gothard, seinen Lebensunterhalt keineswegs mit Malerei bestreitend, stellt den Gekreuzigten vor unendliche Nacht und wird sofort vergessen: IMAGO minus 100, niemand mehr vermag den Namen, Grünwald nämlich, zu benennen.

IMAGO durch Piranesis wunderliche Räume kriechend, Friedrichs Landschaften erkundend, sich im Eismeer der Verunglückten Hoffnung verpuppend und dort der Ankunft der Großen Dreifaltigkeit harrend: de Chirico, Ernst, Hausner.

Sich entpuppend staunend verharren, kurz nur. Die prächtigen Flügel entfalten. Sich in die Lüfte erhebend, mit günstigen Winden segeln, sich treiben lassen über Landschaften unter klarblau-weiten Himmeln vor unendlicher Nacht in jenem seltsamen Grenzgebieten.